Moritz zieht ins Ausland


Wenn die Eltern ins Ausland gehen, müssen die Kinder mit - ob sie wollen oder nicht. Moritz, 12, hatte keine Lust, von Braunschweig nach Prag zu ziehen. Inzwischen will er gar nicht mehr zurück. Auch wenn er nicht allein in die Stadt kann, denn Tschechisch spricht er immer noch nicht.
"Als meine Eltern mir sagten, dass wir für zwei Jahre nach Tschechien ziehen, war ich geschockt. Ein furchtbarer Gedanke, Braunschweig gegen Prag zu tauschen, meine Freunde zu zurücklassen und aus meinem schönen großen Zimmer auszuziehen. Und das alles für den Job meines Vaters. Viel Zeit zum Nachdenken blieb mir aber nicht.
Ein paar Wochen vor dem Umzug fuhren wir nach Prag, um meinen jüngeren Bruder Finn und mich an der deutschen Schule anzumelden. Meine neue Klasse besuchte ich nicht, obwohl man es mir angeboten hat. Ich habe mich nicht getraut.
Damals sahen Finn und ich auch zum ersten Mal unser neues Haus. Das Haus ist kleiner als in Braunschweig, aber gemütlich. Ich mag es. Mein neues Zimmer ist nur halb so groß wie das in Braunschweig. Darum fiel mir das Packen nicht leicht, denn ich musste gründlich aussortieren. Mitgenommen habe ich vor allem Gesellschaftsspiele, viele Bälle und meinen Tischkicker.
Am letzten Schultag vor dem Umzug gab es in meiner Klasse eine Party, weil außer mir noch ein anderer Junge die Klasse verlassen sollte. Wir spielten den ganzen Morgen, hörten Musik, redeten viel und aßen Süßigkeiten. Ich brachte Oblaten mit, eine tschechische Spezialität, die mein Vater für uns in Prag besorgt hatte. Am Ende überreichte mir eine Mitschülerin ein kleines Geschenk von der ganzen Klasse - darin war Schokolade. Die war dann aber leider schon leer, bevor wir umgezogen sind - mein Vater hat sie aufgegessen.
In den letzten Wochen vor dem Umzug traf ich mich, so oft es ging, mit meinen Freunden zum Spielen. Heute versuche ich mit ihnen über Telefon und Skype Kontakt zu halten, aber das ist gar nicht so einfach. Ich habe in Prag sehr viele Hobbys, spiele Basketball und Fußball und komme oft erst abends nach Hause.
Vor kurzem waren zwei meiner Freunde aber für eine Woche bei uns zu Besuch. Ihre Eltern sind Freunde meiner Eltern, in Braunschweig sind wir Nachbarn - zusammen mit meinem Bruder und einem weiteren Freund sind wir die "Fünf Freunde".
Meine Freunde hängen hier übrigens bei mir über dem Bett. Als Abschiedsgeschenk habe ich von ihnen nämlich eine Girlande mit Fotos von uns bekommen. Meine Freunde vermisse ich wirklich sehr, auch wenn ich in Prag nette Mitschüler habe, mit denen ich viel unternehme.
Was in meiner alten Schule passiert, bekomme ich auch mit. Mein ehemaliger Klassenlehrer ist ein Schulfreund meines Vaters und wenn wir in Braunschweig zu Besuch sind, erzählt er mir, was meine Mitschüler so machen. Angst, etwas zu verpassen, habe ich nicht. In Prag erlebe ich so viel.
Tschechisch kann ich leider noch nicht sprechen, dafür lerne ich Französisch. In Braunschweig hatte ich Latein, das gibt es an meiner neuen Schule aber nicht. Nun nehme ich viermal die Woche Französisch-Nachhilfe. Dafür bin ich vom Tschechischunterricht befreit. Wenn ich in der Stadt unterwegs bin oder beim Sport, sind darum immer Freunde oder meine Eltern dabei, um mir beim Übersetzen zu helfen.
Wenn wir in eineinhalb Jahren zurück nach Braunschweig ziehen, werde ich sicherlich traurig sein, Prag verlassen zu müssen - ich fühle mich sehr wohl, obwohl ich anfangs ja auf keinen Fall hierher wollte. Aber ich freue mich natürlich auch auf meine Freunde. Über Silvester fahren wir erst mal wieder nach Braunschweig. Dann kann ich sogar in meinem alten Zimmer übernachten, darauf freue ich mich sehr."
(Spiegel Online, 30. Dezember 2012)


furchtbar – жахливий
j-n an der Schule anmelden – записати до школи
der Tischkicker (-s, -(-s)) настільний футбол
die Oblate (-, -en) – прісне печиво
besorgen für Akk. –
sich treffen mit Dat. – зустрічатись з ком-н
auf keinen Fall – у жодному випадку
die Spezialität (-, -en) – національна страва

Остання зміна: Sunday 17 March 2013 11:23 PM